Melanchthon und Frankreich

Melanchthons Ruhm ist auch in Frankreich offenkundig: Melanchthon stand im Briefwechsel mit Guillaume du Bellay, dem berühmten Humanisten, und dessen Bruder Jean du Bellay, Bischof von Paris, ja sogar mit Königin Margarethe von Navarra, der Schwester König Franz des Ersten. Melanchthons Werke wurden auch in Paris und Lyon gedruckt. Noch zu seinen Lebzeiten sind einige seiner Werke ins Französische übersetzt und publiziert worden. Für Etienne Dolet, den bekannten Drucker aus Orléans, gehörte Melanchthon zu den unsterblichen Heroen des Geistes.

Was aber waren die Gründe für die hohe Wertschätzung Melanchthons in Frankreich? Die französische Reformationsforschung hat dargelegt, daß Melanchthon in Frankreich sogar weit bekannter als Luther gewesen war: "Ce fut le plus grand des Allemands connus dans France d'alors".

Renommee hatte Melanchthon zunächst als Humanist, als großer Philologe, als weithin geachteter Kommentator griechischer und lateinischer Klassiker, als Verfasser einer in vielen Auflagen verbreiteten griechischen und lateinischen Grammatik und zahlreicher Lehrbücher über Rhetorik, Dialektik, Philosophie etc. So hat z.B. Melanchthons lateinische Grammatik in der Druckerei Robert Estienne in Paris von 1526 bis 1532 fünf Auflagen erlebt. Ein Urteil, das Margarethe von Navarra einmal über Melanchthon gefällt hat, kann einen zweiten Grund für Melanchthons hohes Ansehen nennen. Die Königin schreibt: "Dieser gute und heilige Mann, ganz Gott ergeben und sehr friedliebend, der den heftigen Leidenschaften Luthers und Zwinglis abgeneigt ist und der sich nichts mehr wünscht, als den großen Streit der Konfessionen zu schlichten."

Dieses Urteil zeigt ganz deutlich, welche Erwartungen Melanchthon entgegengebracht wurden: Er sollte der Vermittler zwischen den verfeindeten Parteien sein, sollte das Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten wieder in Gang setzen und die drohende Kirchenspaltung abwenden. Melanchthon war, kurz gesagt, die ökumenische Hoffnung seiner europäischen Zeitgenossen.

Wo Religion und Politik eng verknüpft sind, kann jeder Glaubensstreit zu einem Krieg und somit zum Ruin von Staat und Kirche führen. Die Religionskriege vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart haben Melanchthons Sorgen recht gegeben. Im Falle Frankreichs zeigte sich Melanchthons herausragende Stellung im Gespräch der Glaubensparteien erstmals im Jahre 1534. König Franz I. bemühte sich intensiv, mit den protestantischen Fürsten Deutschlands eine Allianz zu gründen, und versuchte deswegen, auf dem Weg von Verhandlungen die religiösen Gegensätze zu überwinden.

Melanchthon sollte die möglichen Annäherungspunkte zwischen Katholiken und Evangelischen auflisten und darstellen. Er hat die Bitte erfüllt und ein Gutachten geschrieben. Vorbild und Richtschnur sollte nach Melanchthon die alte Kirche sein, also die Kirche der Apostel und Kirchenväter, die nach Christi Tod auf der Grundlage der Bibel in wahrhaft katholischem Geist lebten und wirken.

Für Melanchthon war das Ziel entscheidend, die Streitpunkte erst einmal zu entschärfen, um dann ruhig und sachlich über die inhaltlichen Differenzen zu diskutieren. Die Kontroversen sollten, so hatte Melanchthon in seinem Gutachten geschrieben, von gebildeten und friedenswilligen Männern besprochen und beigelegt werden. Ein Jahr später wurde die Einladung von König Franz I. an Melanchthon ausgesprochen; der Einladungsbrief vom 28. Juni 1535 lobt Melanchthons Eifer um die Einheit der Kirche und schlägt eine Disputation mit ausgewählten Professoren der Sorbonne vor.

Die angebahnten Gespräche über die religiöse Einigung scheiterten an tagespolitischen Erwägungen und kurzfristigen Machtüberlegungen. Auch diese Chance der Wiederherstellung der kirchlichen Einheit war vertan.



Johannes Calvin, Radierung von Clemens Ammon, Mitte 17. Jahrhundert.
Das radierte Porträt Calvins stammt von dem Frankfurter Kupferstecher Clemens Ammon, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts zahlreiche Bildnisse bekannter Persönlichkeiten anfertigte.

Johannes Calvin (10.7.1509 in Noyon/Pikardie — 27.5.1564 in Genf); Schweizer Reformator; 1523—1533 humanistische und juristische Studien in Paris, Orléans und Bourges. 1533 Wende zur Reformation. Verfasser der "Institutio religionis christianae", ein Katechismus evangelischer Wahrheit (1536). In den Jahren 1541—1564 Organisation der Kirche in Genf. Melanchthon und Calvin standen sich seit ihrer ersten persönlichen Begegnung im Jahr 1539 nahe; eine Verständigung zwischen den Schweizer und den Wittenberger Theologen scheiterte jedoch an der Abendmahlsfrage und der Vorsehungslehre. Melanchthons Einfluß als Humanist und Vermittlungstheologe in Frankreich wie auch in England sind kaum zu unterschätzen. Hier war er bekannter als Martin Luther. Bekannt ist sein persönliches Engagement beim französischen König Franz I. zur Freilassung inhaftierter Waldenser in der Region Grenoble im Jahr 1541. Der französische Humanist Joachim du Bellay nannte Melanchthon einen "vir sapiens patriae" (einen weisen Mann des Vaterlandes). Über seine Kommentare zu fast allen wissenschaftlichen Disziplinen wirkte Melanchthon in den calvinistischen Ländern bis nach Nordamerika.






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